Akute COPD-Exazerbation
Ist es Zeit für neue Kriterien?

Berlin, 24.05.2022

Eine gezielte Behandlung bei akutmedizinischen Ereignissen wird durch präzise und objektive Point-of-care Definitionen und Schweregradbewertungen ermöglicht. Doch was, wenn dieser wichtige Rahmen langsam morsch wird? Seit nun fast 35 Jahren hat sich die Definition der Exazerbation kaum geändert – und das, obwohl die Exazerbation ein lebensgefährliches Ereignis sein kann und die Behandlung der Patienten*innen oft nur suboptimal und zögerlich läuft. Um dieses marode Konzept der Definition der akuten COPD-Exazerbation auszubessern, erstellte ein internationales Gremium aus führenden Experten*innen ein neues Exazerbationskonzept.

Nachdem die Definition der akuten COPD-Exazerbation (AECOPD) seit vielen Jahren relativ unverändert ist, erheben sich immer mehr Stimmen, die Kritik an der bisherigen Definition einer AECOPD üben und eine neue, evidenzbasierte Definition fordern. Im sogenannten „Rome-Proposal“ machen 17 Experten*innen, zu denen auch der deutsche Pneumologe Prof. Dr. med. Claus Franz Vogelmeier (Marburg) gehört, darauf aufmerksam, dass es in den letzten Jahren zwar therapeutische Fortschritte bei der Prävention von AECOPDs gab, die Behandlung der Episoden per se jedoch relativ unverändert blieb. In ihrem Positionspapier üben sie jedoch nicht nur Kritik, sondern schlagen eine überarbeitete Definition für die AECOPD vor und listen sechs Kriterien anhand derer eine AECOPD künftig in drei Schweregrad eingeteilt werden könnte.1

Sollte der Weg nach Rom führen?

Schon 2020 machte Prof. Vogelmeier darauf aufmerksam, dass „eine genaue Definition des Exazerbationsereignisses ein großer Fortschritt wäre“. Zusätzlich erläuterte er, dass es unerlässlich sei, den Begriff selbst neu zu definieren: „Wir brauchen ein Wort dafür, dass Patienten*innen besser verstehen als ‚Exazerbation‘, z. B. ‚COPD-Krise‘.“ (Prof. Vogelmeier).2 Im Folgejahr erschien dann das „Rome-Proposal“, in dem das Expertengremium die Schwachstellen der AECOPD-Definition aufzeigte. Ihrer Meinung nach beruht sie zu sehr auf der subjektiven Wahrnehmung der Patienten*innen und es mangelt daran, die Symptome mit messbaren Parametern in Beziehung zu setzen. Außerdem fehlt ein klarer Rahmen für die zeitliche Entwicklung der AECOPD, wodurch die Differenzialdiagnose erschwert wird, so die Experten*innen. Ferner würden verbindliche Kriterien für die Einteilung in Schweregrade fehlen, denn bisher erfolgt diese erst post hoc anhand der verordneten Medikamente. Insgesamt zeigen die Ausführungen der Autoren*innen, dass die Subjektivität in der Bewertung durch Unterschiede zwischen Fachleuten und Gesundheitssystemen zu großen Schwankungen führt. Durch die Integration von Erkenntnissen aus Beobachtungs- und Interventionsstudien sowie von Laborwerten könnten, so die Meinung der Experten*innen, die Unzulänglichkeiten der Exazerbationsdefinition ausgemerzt werden.1

Evidenzbasiert und praktikabel soll es sein

„Exazerbationen können lebensbedrohlich sein und erfordern eine angemessene Diagnose und Therapie.“ (Prof Vogelmeier). Deshalb lag das Augenmerk des Expertengremiums darauf, dass Ärzte*innen im Ernstfall eine präzise, evidenzbasierte Grundlage für die Therapie haben. Das neue Exazerbationskonzept sollte vor allem praktikabel und möglichst objektiv sein. Wichtig für die Experten*innen war es dabei, Kriterien festzulegen, anhand derer der Schweregrad der Exazerbation ad hoc und sachlich bestimmt werden kann. „Wir brauchen messbare Parameter für die Einstufung einer akuten COPD-Exazerbation. Diese müssen ohne großen Aufwand erfassbar sein.“, so Prof. Vogelmeier. Geeinigt hat sich das internationale Gremium auf sechs Parameter: Dyspnoe, Atemfreqzuenz, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung in Ruhe (SaO2), den C-reaktives Protein-Spiegel im Blut (CRP) sowie die Berücksichtigung der Blutgasanalysewerte (BGA). Das Einbeziehen des CRP-Wertes zeigt, dass das Expertenteam die Exazerbation als Entzündungsschub ansieht. Die Einstufung des AECOPD-Schweregrades soll dann nach dem Erfassen der Symptome erfolgen und eine frühe Intervention und somit gezieltere Therapie ermöglichen. Ebenfalls fester Bestandteil des diagnostischen Vorgehens sollte die Aufklärung der Ursache sein – also ob der Auslöser der Exazerbation viral-, bakteriell- oder umweltbedingter Ursache war.1

Tabelle 1: Einteilung einer AECOPD in drei Schweregrade anhand von sechs Kriterien. Mod. nach Celli et al.

AECOPD SchweregradKriterien
leicht
  • Dyspnoe Vas* < 5
  • Atemfrequenz < 24/min
  • Herzfrequenz < 95 bpm
  • SaO2 in Ruhe ≥ 92% bei Raumluft oder üblicher O2 Gabe UND Abfall um ≤ 3% (falls bekannt)
  • CRP < 10 mg/L
moderat
(min. 3 von 5 Kriterien zutreffend)
  • Dyspnoe Vas* ≥ 5
  • Atemfrequenz ≥ 24 breath/min
  • Herzfrequenz ≥ 95 bpm
  • SaO2 in Ruhe ≥ 92% bei Raumluft oder üblicher O2 Gabe UND Abfall um ≤ 3% (falls bekannt)
  • CRP ≥ 10 mg/L
  • BGA zeigt Hypoxämie (pO2 ≤ 60 mmHg) und/oder Hyperkapnie (pCO2 > 45 mmHg) aber keine Azidose (pH > 7,35)
schwer
  • 1–5 wie bei moderater AECOPD
  • BGA zeigt Hyperkapnie (pCO2 > 45 mmHg) und Azidose (pH < 7,35)

* visuelle Analogskala

Obwohl die Autoren*innen darauf hinweisen, dass die Zunahme von Husten und Sputummenge (-farbe) relevante – manchmal sogar die relevantesten – Symptome sind, wurden sie nicht in die Liste der Einstufungskriterien aufgenommen. Da ihre Intensität schwer zu bewerten ist, erachteten die Experten*innen sie für eine AECOPD-Schweregrad-Klassifizierung als ungeeignet. Sie sollen aber trotzdem Teil der Exazerbationsdefiniton bleiben. Die erneuerte Definition wurde um einen zeitlichen Rahmen, über den sich die Symptome verschlechtern, sowie um die Erwähnung einer möglichen Tachypnoe und/oder Tachykardie, ergänzt und lautet: „Bei einem Patienten mit COPD stellt die Exazerbation ein akutes Ereignis dar, das durch Dyspnoe und/oder Husten plus Sputumproduktion charakterisiert ist, die sich über maximal 14 Tage verschlechtern. Sie kann begleitet sein von Tachypnoe und/oder Tachykardie und geht häufig mit einer verstärkten lokalen und systemischen Inflammation einher, die durch Atemwegsinfektion, Umweltverschmutzung oder andere Schadeinwirkungen auf die Atemwege verursacht wird.“1

Was bringt die Zukunft?

Die Experten*innen hoffen durch die Erneuerung der Exazerbationsdefinition künftig eine bessere Grundlage für die Versorgung von Patienten*innen und die Forschung schaffen zu können. Allerdings betonen sie auch, dass die gewählten Schwellenwerte für die Bestimmung des Exazerbationsschweregrades nicht auf validierten Studien basieren und, dass diese erst prospektiv in angemessen konzipierten Studien validiert werden müssen.1 Insgesamt ist der Vorschlag von Rom ein mutiger Schritt nach vorne, um die basierende Definition von COPD-Exazerbationen aufzubrechen – auch wenn die behandelbaren Merkmale von Exazerbationen weiter definiert und validiert werden müssen.3

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Quellen:

1.    Celli B et al. Am J Respir Crit Care Med 2021; 204(11):1251-1258.
2.    Banfadhel M et al. Lancet Respir Med 2020; 8(2):133-13.
3.    Ramakrishnan S et al. Am J Respir Crit Care Med 2022; 205(9):1125-1126.

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