Steigt die Pollenbelastung durch den Klimawandel?

Berlin, 29.03.2023 | Lesezeit: 3 Min.

Die aktuellen und für die Zukunft prognostizierten Klimaveränderungen werden schon lange nicht mehr allein als Umweltphänomen diskutiert, sondern auch als große Gefahr für die Gesundheit von uns allen. Vor allem die erhöhte Pollenbelastung kann sich negativ auf den Gesundheitszustand von Menschen mit Allergien und Atemwegserkrankungen auswirken. Prof. Frederik Trinkmann spricht im Podcast mit der Expertin für Pollen Frau Prof. Susanne Jochner-Oette über die Veränderungen der Pollensaison.

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Auszug aus dem Podcast

Professor Trinkmann:

In der heutigen Ausgabe beschäftigen wir uns mit der gerade begonnenen Pollensaison und dem Thema, wie sich der Klimawandel auf die Pollensaison und insbesondere auf die Gesundheit von Menschen mit Allergien und Asthma auswirkt.

Die aktuellen und für die Zukunft prognostizierten Klimaveränderungen werden nicht mehr als alleiniges Umweltphänomen diskutiert. Das Klima verändert sich und daraus resultieren Umweltveränderungen, die Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Können Sie uns kurz zusammenfassen, welche Klima- und Wetterveränderungen hier besonders relevant sind?

Prof. Jochner-Oette:

Der Klimawandel drückt sich nicht nur durch höhere Durchschnittstemperaturen aus. Wir sehen klar eine Veränderung der Wetterextreme wie Starkregen, Dürren oder Hitzewellen. Hitzewellen haben z. B. hinsichtlich Anzahl, Intensität und Andauer deutlich zugenommen. Sie stehen in Verbindung mit einer thermischen Belastung, damit ergibt sich ein direkter Effekt des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit. Aber auch indirekte Effekte sind relevant, denn der Klimawandel verändert beispielsweise das zeitliche Auftreten und die Eigenschaften von Pollen. Menschen mit Allergien könnten daher in Zukunft stärker leiden.

Professor Trinkmann:

Für uns in der klinischen Praxis stehen häufig Patienten*innen mit chronisch entzündlichen Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD im Fokus. Sie sagten, dass sich durch den Klimawandel auch die Pollensaison verändert. Wie äußert sich das?

Prof. Jochner-Oette:

Zunächst verlagert sich die Pollensaison nach vorne. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Temperaturen im Januar und Dezember meist wesentlich höher sind. Frühblüher wie die Hasel oder die Erle können dann extrem früh in Erscheinung treten. Aber nicht nur diese Arten blühen früher, sondern auch weitere relevante Arten wie die Birke. Die Dauer der Pollensaison der jeweiligen Art ist dabei durch die Witterung bestimmt. Sehr hohe Temperaturen verkürzen die Pollensaison; viel Niederschlag und tiefere Temperaturen können dagegen zu einer Unterbrechung und somit längeren Saison führen. Im Sommer sind dann die Wachstumsbedingungen für krautige Pflanzen und Gräser im Allgemeinen verbessert, was eine längere Wachstumsperiode bewirkt. Später im Jahresverlauf, teilweise bis in den Oktober, kommt neuerdings noch das Beifußblättrige Traubenkraut dazu, die Ambrosia. Das Fenster der pollenfreien Zeit wird also sehr klein.

Professor Trinkmann:

Verändern sich denn auch die Pollen selbst aufgrund dieser klimatischen Veränderungen?

Prof. Jochner-Oette:

Ja. Zum einen kann die Pollenmenge ansteigen. Studien zeigten, dass eine höhere Biomasseproduktion mit höheren Temperaturen und höheren CO2-Werten verbunden ist. Gleichzeitig kann der Klimawandel auch mit limitierenden Faktoren in Verbindung stehen, z. B. Dürre. Es gibt außerdem noch weitere, nicht-klimatische Einflüsse wie Landnutzungsänderungen. Ein zweiter Punkt ist, dass die allergieauslösenden Proteine der Pollen verändert werden. Vor allem Stress durch zu hohe Temperaturen, Dürre oder Schadstoffe hat hier einen Einfluss. In Experimenten mit Ambrosia hat man gesehen, dass höhere Stickoxidwerte, CO2 oder Dürre in Beziehung mit höheren Allergenitätswerten stehen. Bei der Birke konnte man zeigen, dass Ozon zu einem höheren Allergenwert führt.

Professor Trinkmann:

Das bedeutet Pollen werden aggressiver, nehmen in der Menge zu und interagieren auch mit spezifischen weiteren Umweltfaktoren. Wie wirkt sich das denn konkret auf Menschen mit Allergien und Atemwegserkrankungen aus?

Prof. Jochner-Oette:

Die Belastung wird sicherlich in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Aktuell geht man davon aus, dass jeder Zweite bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts von einer allergischen Erkrankung betroffen sein wird. Aber Sie sind ja der Fachmann für die gesundheitliche Seite − welche Effekte ergeben sich für Menschen mit Allergien und Asthma durch diese Klimaveränderungen?

Professor Trinkmann:

Die sind natürlich extrem vielschichtig. Wir sehen, dass die Entzündungsprozesse verstärkt werden. Das ist einerseits durch die Pollen, aber auch durch Klimaeinflüsse wie extreme Kälte und Hitze bedingt. Die Pollen führen zu einer gereizten Schleimhaut, die dann die Patienten*innen vulnerabler macht für andere Schadstoffe. Da wissen wir, dass durch Feinstaub und Ozon zum Beispiel die Anzahl der Asthma-Anfälle und die Frequenz des Notfallspray-Gebrauchs deutlich zunehmen. Aber auch für Atemwegsinfekte ist das Risiko erhöht. Summa summarum sehen wir bei Patienten*innen, dass das Risiko für Anfälle, also für sogenannte Exazerbationen bei Asthma bronchiale, aber auch bei der COPD, erhöht sein kann.

Prof. Jochner-Oette:

Kann man also sagen, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen spüren bereits die Auswirkungen von Klimafolgen in der Klinik und in der Praxis?

Professor Trinkmann:

Auf jeden Fall. Und die Frage ist, was man dagegen unternehmen kann. Ich denke, viele Dinge lassen sich durch Umweltschutzmaßnahmen und politisch adressieren, aber bei einigen sind uns so ein bisschen die Hände gebunden, gerade auch, was die akuten Maßnahmen angeht.

Prof. Jochner-Oette:

Ja, leider. Hier sehen wir eigentlich ganz deutlich, dass der Klimawandel gefährlich ist für die Gesundheit. Ich bin davon überzeugt, dass Maßnahmen, die man für den Klimaschutz ergreift, gleichzeitig immer auch ein Stück weit Maßnahmen zum Gesundheitsschutz sind.

Weiterführende Informationen

Sehen auch Sie Klimaschutz als aktiven Gesundheitsschutz an und fragen sich, wie Sie in ihrem Bereich einen Beitrag leisten können? Prof. Frederik Trinkmann spricht im EinBlick Nachgefragt Podcast über Klimaschutz am Beispiel von inhalativen Arzneimitteln.

Lesen Sie hier das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in dem sie sich für eine Klimaneutralität bis 2035 aussprechen.

Darüber hinaus veröffentlichte die DEGAM im letzten Jahr eine S1-Handlungsempfehlung für Klimabewusste Verordnung von inhalativen Arzneimitteln.

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