Long-/Post-Covid – quo vadis? Wissen wir nach einem Jahr mehr?

Berlin, 27.04.2022 | Lesezeit: 4 Min.

Was tun bei Long- und Post-Covid? Im Juli 2021 hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) in Kooperation mit weiteren Fachgesellschaften eine S1-Leitlinie zu Long-Covid/Post-Covid herausgegeben. Seitdem hat sich in Sachen Pandemie und Forschung einiges getan. Prof. Dr. Rembert Koczulla, Pneumologe und federführender Autor der Leitlinien erörtert im Gespräch mit Prof. Dr. Frederik Trinkmann (Thoraxklinik, Heidelberg) welche Erkenntnisse wir in einem weiteren Jahr Pandemie über die postakuten Folgen dazugewonnen haben.

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Professor Trinkmann: Im ersten Jahr der Pandemie wurde relativ schnell klar, dass einige Patienten nach der akuten Infektion mit SARS-CoV-2 noch längere Zeit über Symptome klagen. Wir sprechen heute von Long- bzw. Post-Covid, was hat es mit diesen Begriffen genau auf sich?

Professor Koczulla: Für die Definition haben wir uns an der Leitlinie aus Großbritannien orientiert, die die Hausärzte dort zusammengestellt haben. „Long-Covid“ ist dort als die Erkrankung definiert worden, die ab vier Wochen nach Infektion noch weitergeht. „Post-Covid“ ist dann der Erkrankungsverlauf nach der Woche 12. Inzwischen haben wir Daten zu den Häufigkeiten: Wir sehen, dass von Post-/Long-Covid etwas häufiger Frauen betroffen sind, dass Post-/Long-Covid zum einen nach schwerem Krankheitsverlauf und zum anderen bei geringer Antikörperzahl häufiger auftreten kann. Hinzu kommen einige Daten zur Viruslast – ist diese hoch, tritt Post-/Long-Covid häufiger auf.

Professor Trinkmann: Welche Symptome werden dir denn typischerweise im Alltag berichtet?

Professor Koczulla: Die Zusammenstellung der häufigen Symptome ist nicht ganz leicht. In den Studien haben wir sehr große Unterschiede bezüglich Patientenkollektiv, Zeitraum, Geografie etc. Das macht die Daten schwer vergleichbar. Dennoch haben wir versucht, ganz pragmatisch häufig genannte, weniger häufig genannte und selten genannte Symptome zusammenzufassen. In den Leitlinien haben wir uns für eine Kreisgrafik mit drei Kreisen entschieden. Was ist nun häufig? Die Luftnot ist häufig, die Fatigue ist häufig, der Leistungsknick ist häufig, Geruchs- und Geschmacksprobleme sind häufig.


Professor Trinkmann: Das bedeutet, dass es sich um ein sehr komplexes Krankheitsbild handelt. Und ihr geht in der Leitlinie auch auf die zahlreichen Herausforderungen ein, die sich dadurch im Alltag und natürlich auch für unser Gesundheitssystem darstellen. Worin liegen denn diese Herausforderungen konkret? Und wie können wir diesen Herausforderungen begegnen?

Professor Koczulla: Wir haben eine junge Erkrankung, das heißt, wir haben insbesondere die Pathophysiologie noch nicht gut verstanden und somit auch wenige Möglichkeiten, zielgenau auf die pathophysiologischen Veränderungen beispielsweise medikamentös Einfluss zu nehmen. Wir haben hier ganz, ganz große Wissenslücken, aber glücklicherweise auch einen Wissenszuwachs. Aktuell haben wir aber wenig Evidenz, die uns ganz klar zeigt, was wir bei der Vielzahl an unterschiedlichen Symptomen im Einzelnen machen sollen. Ein Punkt, der mir immer sehr wichtig ist: Wir sollten nicht vergessen, dass es auch Komorbiditäten oder andere Gründe geben kann, die diese Symptomatik verursachen. Wir müssen ein bisschen nach rechts und nach links schauen, um das Gesamtbild zu sehen.


Professor Trinkmann: Mit welchen Maßnahmen können wir unseren Patienten denn helfen? Gibt es erwiesene effektive Therapiekonzepte?

Professor Koczulla: Wir wissen, dass die Rehabilitation, wenn sie durchgeführt wird, positive Effekte haben kann. Es ist an dieser Stelle aber auch zu erwähnen, dass es bislang keine randomisierte Studie hierzu gibt. Das heißt, die Studien, die es gibt, die haben teilweise mit Vergleichsgruppen gearbeitet, die nicht in einem randomisierten Konzept in die Studie eingegangen sind. Hier sind Besserungen beschrieben worden: Besserungen für Luftnot, Dyspnoe, Fatigue, Husten und im Besonderen die Kapazität also die Leistungsfähigkeit der Patienten.


Professor Trinkmann: Wenn man sich die S1-Leitlinie anschaut, fällt die Gültigkeitsdauer von lediglich einem Jahr auf, also bis Juli 2022 und nicht, wie sonst oft üblich 5 Jahre. In der SARS-CoV-2 Pandemie haben wir eine unglaubliche Dynamik des Erkenntnisgewinns. Kannst du uns einen Überblick über neue Erkenntnisse geben, die wir seit der Erstellung der Leitlinien gewonnen haben?

Professor Koczulla: Wir haben uns tatsächlich bewusst dafür entschieden, die Gültigkeitsdauer relativ kurz zu manifestieren. Der Name „S1“ bedeutet ja schon, dass viel Erfahrung weitergegeben wird, Ideen, die eben noch nicht in Evidenz gegossen sind. Vor diesem Hintergrund arbeiten wir aktuell am Update. Wir haben weitere Fachgesellschaften schon angefragt, die wir bitten, ebenfalls Beiträge zu liefern. Einen Beitrag zur Fertilität, zur Logopädie und zur Ophthalmologie haben wir angefragt. Auf diesen Gebieten sind einige Daten publiziert worden. Zusätzlich überlegen wir, ob wir auf andere diagnostische Wege setzen müssen: Die Unterschiede zu den Kontrollgruppen sind mit den aktuell verwendeten Instrumenten teilweise gar nicht richtig messbar. Das heißt konkret, wenn wir uns die Bildgebung anschauen, gibt es modernere Bildgebungsverfahren, die uns hier vielleicht an einigen Stellen auch zusätzliche Informationen liefern könnten. Das ist zum Teil noch Gegenstand wissenschaftlicher Studien.


Professor Trinkmann: Das sind spannende neue Einblicke. Und ein Großteil des heutigen Wissens stammt ja noch aus der Zeit von früheren Virusvarianten. Die im Moment vorherrschende Omikron-Variante hat das akute Krankheitsbild ja deutlich verändert. Deswegen wäre natürlich die nächste Frage, ob du uns eine Einschätzung geben kannst, wie sich das Thema Post- oder Long-Covid bei diesen neuen SARS-COV-2-Varianten entwickeln wird?

Professor Koczulla: Das ist aktuell viel Glaskugel-Lesen, da es entsprechende Daten im Moment noch nicht gibt. Es gibt zumindest eine Arbeit, die auf dem Online-Server hochgeladen ist, die zeigt, dass die Probleme von der Chemosensorik – hier Geruch, Geschmack – mit der Omikron-Variante seltener sind als mit Delta oder anderen Varianten. Das lässt an einigen Stellen hoffen, aber eine wirkliche Einschätzung können wir erst mit mehr Daten geben.


Professor Trinkmann: Das bedeutet, Post- und Long-Covid wird uns noch auf lange Sicht begleiten und eine Herausforderung für das Gesundheitssystem sein. Auch die längerfristigen Folgen lassen sich im Moment nur sehr schwer abschätzen. Die gute Nachricht ist, dass wir mit der S1-Leitlinie erstmals eine Definition und Handlungsempfehlung haben, die konkret Stellung bezieht zur Diagnostik, zur Therapie und zur Patientenbetreuung. Und diese wird dynamisch an den aktuellen Wissensstand angepasst und es wird sicherlich in Zukunft noch weitere Evidenz einfließen.

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