Schreibt die KI bald unsere Arztbriefe?
Berlin, 29.01.2025 | Lesezeit: 4 Min.
Ein Viertel der Arbeitszeit im Praxisalltag kann auf Dokumentationen zurückgeführt werden1 – kein Wunder, wenn allein in Deutschland 150 Millionen Arztbriefe pro Jahr verfasst werden.2 Die Dokumentationszeit reduziert nicht nur die Zeit, die Ihnen für Ihre Patienten*innen zur Verfügung steht, sondern muss oftmals noch an die eigentliche Arbeitszeit angehängt werden.1 Generative Künstliche Intelligenz (KI)-Modelle könnten dabei bald Abhilfe schaffen. In den Unikliniken in Freiburg und Hamburg werden diese Modelle schon genutzt, in Essen soll bald eine Testphase beginnen.2,3
Große Sprachmodelle (LLMs – engl. für Large Language Models) haben schon jetzt viele Erfolge erfahren. Nun wird die Nutzung für verschiedenste Anwendungsmöglichkeiten untersucht. Doch die bekanntesten Anbieter haben Ihren Sitz in den USA4 - eine Herausforderung für die Nutzung sensibler Daten, wie beispielsweise Patienten*innendaten, denn diese erfordert die Einhaltung der europäischen Datenschutzrichtlinien.1 Zudem müssen die Anwendungen für den Einsatz in Studien validiert werden.1 Allerdings ist die Branche sehr dynamisch – häufige Updates und nur kurz verfügbare (validierte) Vorgängerversionen erschweren daher wissenschaftliches Arbeiten.1 Da sowohl die Architektur als auch die trainierten Parameter für die Nutzer*innen zugänglich sind, setzen Forschende auf Open-Source-Modelle, sodass sie diese für beliebige Infrastrukturen trainieren und einsetzen können.1
Forschungsergebnisse zeigen Mehrwert
So machten es auch die Forschenden des Universitätsklinikums Freiburg, die in einer aktuellen Studie insgesamt 90.000 reale anonymisierte klinische Dokumente aus der Klinik für Augenheilkunde für das Training verschiedener Sprach-Modelle nutzten.1 Im Anschluss verfasste die KI, die bei der Evaluation am besten abschnitt, 102 Arztbriefe, die von medizinischem Fachpersonal geprüft und bewertet wurden.1 Die Dokumente waren in 93,1 % der Fälle nach geringfügigen Korrekturen für die klinische Anwendung geeignet.1 Die Forschenden sehen den Grund des guten Abschneidens des Gewinnermodells gegenüber den anderen Modellen darin, dass es für deutschsprachige Anwendungen konzipiert wurde.1
Einsatz in der Klinik überzeugt
Die untersuchte KI-Anwendung wird in der Augenklinik in Freiburg bereits im Regelbetrieb eingesetzt. Die Anwendung funktioniert so, dass beim Verfassen des Arztbriefs Sätze von der KI vorgeschlagen werden.3 Der*die Arzt*Ärztin hat die Möglichkeit, den vorgeschlagenen Satz anzunehmen oder selbst weiterzuschreiben bis die KI einen neuen Vorschlag liefert.3 Dabei gibt die KI jedoch keine Empfehlungen für Therapien ab.3 Die Nutzung der KI-Anwendung ist aktuell freiwillig, wird aber bereits von rund 80-90 % der Ärzte*innen verwendet. Die Nutzenden gaben an, dass sie zufrieden mit der Anwendung sind. 3 Derzeit wird in Freiburg evaluiert, wie viel Arbeitszeit durch die Nutzung der KI-Anwendung eingespart werden kann.3
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat die KI-Anwendung ARGO, die bei der Erstellung von Arztbriefen unterstützt, in den Regelbetrieb eingeführt.3 Mit Hilfe des Sprachmodells, das mit Daten aus dem UKE trainiert wurde, sollen Ärzte*innen bei der Dokumentation am Ende eines stationären Aufenthalts entlastet werden.3 ARGO generiert, basierend auf den gesammelten Informationen der Patienten*innen, einen Entwurf des Abschlussberichts in dem der Aufnahmegrund, der Behandlungsverlauf sowie die getroffenen Entscheidungen dargelegt werden.3 Die erstellte Epikrise wird anschließend von den Ärzte*innen überprüft, angepasst und genehmigt.3
Breite Anwendungsmöglichkeiten
Das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme arbeitet seit 2023 an einem Arztbriefgenerator.2 Ein Prototyp soll im Rahmen des KI.NRW-Flagship-Projekts SmartHospital.NRW an der Universitätsmedizin Essen getestet werden.2 Das Fraunhofer-Institut sieht zudem vielfältige Anwendungsmöglichkeiten von KI in der Klinik (siehe Abbildung).2 Das KI-Modell Natural Language Processing (NLP) beschäftigt sich mit der Analyse, dem Verständnis und der Erzeugung natürlicher Sprache, wodurch die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen optimiert werden soll. Diese Technologie soll es dem Programm ermöglichen, komplexe Texte wie medizinische Befunde, Dokumentationen und Richtlinien präzise zu lesen, zu verstehen und zu verfassen.5

Schreibt also die KI bald alle Arztbriefe?
Das Potenzial scheint da zu sein, insbesondere in großen Kliniken, wo solche Systeme schon jetzt vielversprechend integriert werden konnten. Die Leistungsfähigkeit einer KI ist jedoch direkt von der Qualität der Daten abhängig, mit denen sie trainiert wurde und aufgrund strenger Datenschutzbestimmungen ist die Verwendung sensibler Gesundheitsdaten schwierig. Zusätzlich erfordert das Training von Open-Source-Sprachmodellen nicht nur Zeit und Fachwissen, sondern auch einen umfangreichen, idealerweise deutschsprachigen Datensatz. Hier gibt es also noch deutliches Entwicklungspotenzial. Dennoch lässt die rasante Entwicklung im Bereich der KI hoffen, dass zeitnah praktische Anwendungen geschaffen werden können, die auch in der niedergelassenen Praxis einen Mehrwert und damit eine Zeitersparnis bieten können.
Weiterführende Informationen
Mit Teuken-7B wurde diesen Herbst erstmals ein europäisches KI-Sprachmodell präsentiert. Das Open-Source-Modell wurde multilingual trainiert und die verwendeten Standards sollen eine Datenspeicherung und -verarbeitung nach höchsten europäischen Datenschutz- und Sicherheitsbestimmungen garantieren. Mehr Informationen finden Sie hier.
Quellen:
- Heilmeyer F. et al., JMIR Med Inform 2024;12:e59617; doi: 10.2196/59617
- Presseinformation: Whitepaper: Künstliche Intelligenz hilft bald bei der Arztbrief-Erstellung Fraunhofer Whitepaper; Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) (letzter Zugriff 04.12.2024)
- Blickwinkel: Vorteile durch KI-generierte Arztbriefe; Deutsche Ärzteblatt 2024; 121(24): A-1580 / B-1334
- Alternative zu ChatGPT?: Europa präsentiert eigenes großes KI-Sprachmodell, www.ntv.de (letzter Zugriff 04.12.2024)
- Whitepaper: Natural Language Processing in der Medizin: Von der automatisierten Befundanalyse bis zum Arztbriefgenerator: Künstliche Intelligenz für dokumentenbasierte Prozesse im Krankenhaus; Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) (letzter Zugriff 04.12.2024)
Viel Dank für Ihre Bewertung!
Ihr Feedback hilft uns, unsere Inhalte interessant zu gestalten.