ERS 2024: Ein Highlight-Überblick
Prof. Trinkmann: Der diesjährige ERS hat wieder spannende Themen bereitgehalten. Wir wollen Ihnen einen kurzen Überblick zu großen Themen geben und starten mit der Volkskrankheit COPD. Frau Dr. Raic-Rosic, was gab es Neues dazu auf dem ERS dieses Jahr?
Dr. Raic-Rosic: Für mich war die Session „Clinical Year in Review“ zu COPD und kardiovaskulären Erkrankungen interessant. Wie wir wissen, wird die COPD häufig von Komorbiditäten begleitet, die einen entscheidenden Einfluss auf die Morbidität und Mortalität der COPD haben. In der Session wurde eine Publikation vorgestellt, die zeigte, dass Patienten*innen mit COPD und Herzinsuffizienz einen Overlap von ca. 30 % haben. Interessant ist, dass COPD hier nicht nur als Komorbidität genannt wurde, sondern auch als Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Wir wissen bereits, dass besonders im ersten Monat nach einer akuten COPD-Exazerbation das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zwei bis fünf-mal höher ist und im ersten Jahr danach weiter erhöht bleibt. Aber die Studie zeigt, dass auch Patienten*innen ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen zum Zeitpunkt der COPD-Diagnose bereits ein erhöhtes Risiko haben. Als Fazit nehme ich daraus mit, dass wir früher diagnostizieren und therapieren müssen, um damit Komplikationen zu verhindern und letztendlich die Mortalitätsrate zu senken.
Prof. Trinkmann: Sie haben das Thema Früherkennung und frühe Therapie schon angeschnitten. Was gab es da Neues, wenn ich zum Beispiel an das Thema Raucher*innen denke, die ja sehr häufig Risikofaktoren haben, aber eben noch keine bekannte Erkrankung.
Dr. Raic-Rosic: Es ist schon lange bekannt, dass Rauchen ein wichtiger Risikofaktor nicht nur für COPD, sondern auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Auf dem ERS wurde z.B. gezeigt, dass bei Raucher*innen die Lungenfunktion deutlich niedriger ist und die Progression der COPD deutlich schneller verläuft als bei Nichtraucher*innen. Sorge bereitet mir die Raucherentwöhnung und damit die Fragen, wie man die Patienten*innen mit diesem Thema erreicht und welche Möglichkeiten Praxen hier im Alltag haben. Daran müssen wir in Zukunft weiter arbeiten.
Zusätzlich gab es im Bereich der COPD Spannendes zum Thema Typ2-Inflammation. Können Sie uns hierzu etwas berichten, Prof. Trinkmann?
Prof. Trinkmann: Typ2-Inflammation und auch die Phäno- und Endotypisierung gewinnen auch bei der COPD, so wie beim Asthma, immer mehr an Bedeutung. Seit diesem Jahr ist erstmalig ein Biologikum, Dupilumab, für die Therapie von COPD-Patienten*innen zugelassen. Die Zulassung deckt Patienten*innen, die eosinophil sind, häufig exazerbieren und trotz inhalativer Therapie und deren Ausreizung nicht ausreichend kontrolliert sind. Auf dem ERS wurde über einige spannende neue Entwicklung in diesem Feld berichtet: Zum einen gibt es eine Pressemitteilung zu einer positiven Studie für einen zweiten Antikörper, Mepolizumab, die allerdings noch keine Studienergebnisse enthält. Darüber hinaus gibt es einige sehr spannende Ansätze, teilweise in sehr frühen Phasen, die in die Richtung Interleukin-Beeinflussung gehen. Der Ansatz über den Interleukin-33-Weg ist da, meiner Meinung nach, am weitesten. Es gibt hier zwei Substanzen in frühen Phasen, das Itepekimab und das Tozorakimab.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die „Mucus-Plugs“, also Schleimpfropfen in den Atemwegen, die bei COPD-Patienten*innen mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sein können. Beim Asthma haben wir gelernt, dass wir dies medikamentös, mit Biologika, beeinflussen können. Interleukin-13 spielt dabei eine zentrale Rolle. Es wurde nun erstmals gezeigt, dass der Interleukin-33-Antikörper Tozorakimab, in einer klinischen Phase 2A Studie, diese „Mucus-Plugs“ reduzieren konnte.
Hier wird sich also sicher einiges tun. Ein Medikament ist bereits zugelassen, wir erwarten die Zulassung eines zweiten Biologikums, und weitere Ansätze sind in der Entwicklungsphase. Es bleibt spannend, die Entwicklung der COPD-Therapie in Zukunft zu verfolgen.
Gab es denn noch aus Ihrer Sicht Dinge, die Sie erstaunlich fanden oder Studienergebnisse, die Sie überrascht haben?
Dr. Raic-Rosic: Interessant war die Rote-Bete-Studie, die eine Dauer von zwölf Wochen hatte. Die COPD-Patienten*innen tranken täglich hochkonzentrierten Rote-Bete-Saft und wurden mit einer Placebo-Gruppe verglichen.
Was ist in der Rote Bete enthalten? Rote Bete enthält Nitrate, die durch im Speichel enthaltene Bakterien zu Nitrit reduziert werden und es ist bekannt, dass eine nitrathaltige Ernährung kardioprotektiv wirken kann. Nach zwölf Wochen zeigte die Studie, dass der Blutdruck in der Gruppe, die Rote Bete getrunken hat, um 5 mmHg geringer war. Auch zeigte sich eine Verbesserung im Sechs-Minuten-Gehtest im Vergleich zur Placebo-Gruppe. Ich denke, dass die Studie nicht nur wegen des Rote-Bete-Safts interessant ist, sondern auch weil die Studie zeigt, dass ein gesunder Lebensstil, gute Ernährung und Bewegung etwas verändern können. Die Prävention ist ein wichtiger Teil der Medizin.
Prof. Trinkmann: Lassen Sie uns zum Thema Asthma weitergehen, die zweite große Volkskrankheit, die wir in unserem Fachgebiet haben. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben, was es beim Asthma Neues gab?
Dr. Raic-Rosic: Bei Asthma ist definitiv neu, dass die GINA-Empfehlungen von 2024 Beta-2-Sympathomimetika (SABA) allein nicht mehr empfehlen.
Ein weiteres wichtiges Thema war die Remission. Ziel ist es, eine Remission nicht nur bei schwerem Asthma, sondern in jedem Stadium unter der empfohlenen Medikation zu erreichen. Hierzu wurde Asthma mit einer Rheuma-Erkrankung verglichen. In einer Session wurde betont, dass nicht erst auf die Komplikationen gewartet, sondern frühzeitig mit der Therapie begonnen werden sollte. Dies sollte nach der Phänotypisierung geschehen, so dass mögliche Komplikationen vermieden werden könnten. Denn jede Exazerbation kann, sowohl bei Asthma als auch bei COPD, zu einer dauerhaften Lungenfunktionseinschränkung führen. Für den Praxisalltag ist es wichtig, jede*n Asthma-Patient*in zu phänotypisieren, was in einigen Fällen sogar mehrfach geschehen sollte, um dann rechtzeitig eine Therapie einzuleiten.
Was sagen Sie dazu, Prof. Trinkmann?
Prof. Trinkmann: Sie haben schon die langwirksamen neuen Medikamente angesprochen. Depemokimab, für das wir eine baldige Zulassung erwarten, ist natürlich interessant. Auch für die bestehenden Medikamente ist das Thema Mucus-Plugs interessant. Hier wurde gezeigt, dass Dupilumab in einer Phase-4-Studie die Mucus-Plugs und auch das Volumen des Schleims deutlich reduziert hat.
Es gab auch neue spannende Biologika-Ansätze auf dem ERS, von denen ich zwei rausgreifen möchte. Das ist einmal das TSLP (Thymus-Stroma-Lymphopoietin), das wir ja schon aus der Anwendung beim schweren Asthma kennen. Dazu wurden zwei spannende Medikamente oder Ansätze untersucht: ein TSLP-Rezeptor-Blocker, der beim Asthma getestet wurde, und ein inhalierbares Anti-TSLP. Dieses wurde bei Asthma in frühen Phasen untersucht und könnte in Zukunft unser therapeutisches Arsenal erweitern.
Zusätzlich wurden komplett neue Ansätze vorgestellt, wie z. B. ein Pan-JAK-Inhibitor, der als Pulver-Inhalator beim Asthma getestet wurde. Das Medikament hat bisher nur eine Nummer. In der Untersuchung wurde es zusätzlich zu ICS/LABA gegeben. Zusammenfassend zeigt sich, dass wir beim Asthma, bei der Endo- und Phänotypisierung zwar schon sehr gut sind, aber dass auch dort neue Medikamente, insbesondere auch im Bereich vor den klassischen Biologika, in Entwicklung sind.
Prof. Trinkmann: Frau Raic-Rosic, gab es aus Ihrer Sicht interessante Aspekte, die das Thema Inhalator-Technik auf dem ERS neu beleuchtet haben?
Dr. Raic-Rosic: Ich bin immer sehr überrascht, wenn ich sehe, wie hoch die Fehlerquote bei Inhalationsgeräten ist. Wir schulen, wir wiederholen, wir verweisen auf verschiedene Videodateien – trotzdem ist die Fehlerquote sehr hoch. Oft werden nicht nur ein, sondern sogar mehrere Anwendungsfehler gemacht. Aber die Kontrolle ist schwierig und gerade in einem Praxisalltag mit vielen Patienten*innen sehr zeitaufwendig.
Auch beim ERS wurde wieder gezeigt, dass die Fehlerquote sehr hoch sein kann. Haben Sie, Prof. Trinkmann, eine Empfehlung, wie dies verbessert werden kann?
Prof. Trinkmann: Sie haben ja schon ein ganz, ganz wichtiges Thema angesprochen, und die Zauberlösung habe ich leider auch nicht. Oder vielleicht sage ich lieber „noch nicht“. Denn auf dem ERS haben wir ein paar spannende digitale Helfer gesehen, wie beispielsweise die KATA-App, bei der es um eine digitale Inhalator-Schulung geht. Eine App-gestützte Trainingseinheit kann bei dem zeitintensiven Thema Schulung unterstützen. Ein spannender Punkt für mich auf dem ERS war auch, dass solche digitalen Helfer bereits bei klinischen Endpunkten helfen können. Wenn zum Beispiel digitale Unterstützung eingesetzt wird, kann der Gebrauch von kurzwirksamen Betamimetika runtergehen.
Auf dem ERS wurden auch Daten präsentiert, die zeigen, dass nur 15 % der Health Care Professionals eine gute Inhalator-Technik aufweist. Das zeigt uns, wie kompliziert das Ganze ist.
Interessant ist auch, dass sich die Technik bereits einen Tag nach dem Training wieder verschlechtert. Und der Nadir ist circa drei bis vier Monaten nach dem Training erreicht, sodass eine Nachschulung dann am effektivsten wäre – etwas, das wir in die Praxis mitnehmen können.
Prof. Trinkmann: Sie haben schon aufgezeigt, wie wichtig Prävention ist und dass sie im Alltag manchmal untergeht. Neben dem Rauchverzicht sind Impfungen mit das effektivste Mittel für die Prävention. Was gab es Neues zum Thema Impfungen auf dem diesjährigen ERS?
Dr. Raic-Rosic: Impfungen sind sehr wichtig bei unseren COPD-Patienten*innen, denn Infekte sind oft verantwortlich für Exazerbationen. Der GOLD-Report empfiehlt schon viele Impfungen, wie Grippe-, Covid-, Pneumokokken-, Pertussis-, Gürtelrose- und, relativ neu, die RSV-Impfung. Neu ist nun, dass es jetzt eine STIKO-Empfehlung für die RSV-Impfung für chronisch erkrankte Patienten*innen und für Neugeborene gibt.
Prof. Trinkmann: Ich denke, die gute Nachricht ist, dass wir durch die STIKO-Empfehlung jetzt erstmals etwas haben, worauf wir uns stützen können. Die RSV-Impfung ist jetzt als Standard-Impfung für alle Erwachsenen über 75 Jahren empfohlen und als Indikationsimpfung ab 60 Jahren.
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