Eine COPD kommt selten allein

Berlin, 27.09.2022 | Lesezeit: 6 Min.

COPD ist eine sehr heterogene Erkrankung, ebenso vielfältig sind ihre Komorbiditäten: kardiovaskuläre Erkrankungen, Gewichtsverlust, Muskeldysfunktion, Osteoporose und Depression – um nur einige Bäume aus dem Wald der Komorbiditäten zu nennen. Dr. med. Sabine Lampert, Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie erklärt im Gespräch mit Prof. Dr. Frederik Trinkmann (Thoraxklinik, Heidelberg), was bei den vielfältigen internistischen COPD-Begleiterkrankungen zu beachten ist.

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Auszug aus dem Podcast:

Professor Trinkmann:
Welche Komorbiditäten treten denn bei Patienten mit COPD besonders häufig auf? Was siehst du denn in deinem Praxisalltag bei diesen Patienten häufig?

Dr. Lampert:
Die COPD ist eine sehr heterogene Erkrankung: Auf der einen Seite haben wir die klassischen „Studienpatienten“, jene mit einer deutlichen Obstruktion in der Lungenfunktion. Andere leiden eher unter der Überblähung der Lunge oder haben eine ganz schwere Gasaustauschstörung. Und in dieses breite Spektrum von COPD-Erkrankungen mischt sich dann auch noch rein, ob die Menschen oft exazerbieren oder noch nie eine Exazerbation gehabt haben, ob sie rauchen, geraucht haben, niemals geraucht haben oder ob sie jetzt eher durch die Atemnot oder eher durch ihren Husten und die Verschleimung eingeschränkt sind. Kurz gesagt: ein sehr buntes Bild an individueller Ausprägung von dieser COPD-Erkrankung. Und obendrauf kommen dann noch all diese Komorbiditäten, die wir kennen. Hierzu gehören vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen, das Lungenkarzinom, aber auch psychische Komorbiditäten wie Angst und Depressionen, Osteoporose, Muskeldysfunktion oder der Muskelabbau und auch natürlich das metabolische Syndrom, um nur die Häufigsten zu nennen. Diese können sich auch gegenseitig beeinflussen – z. B. der Bewegungsmangel, der zum Muskelabbau führt und was sich wiederum negativ auf die kardiovaskulären Erkrankungen auswirkt und letzten Endes dann auch die Atemnot wiederum steigert usw.

Professor Trinkmann:
Das heißt, wir haben es wirklich mit multimorbiden Patienten zu tun, auch mit einem ausgeprägten Zusammenspiel dieser Erkrankungen. Gibt es denn mit diesen Komorbiditäten Probleme, also verhindern diese Komorbiditäten beispielsweise eine frühzeitige Diagnose der COPD?

Dr. Lampert:
Leider ja, und das gilt andersrum natürlich auch. Also der COPD-Patient erzählt mir, dass er immer schlechter laufen kann und ich sehe die Lungenfunktion und denke mir, klar die ist schlecht, die COPD ist daran schuld, aber in Wirklichkeit hat er eine PAVK (Periphere arterielle Verschlusskrankheit) und kann wegen der Schmerzen nicht mehr laufen. Und kardiovaskuläre Erkrankungen sind ja auch ganz generell bei COPD-Erkrankungen viel zu selten diagnostiziert. Ganz interessant dazu ist auch ein Artikel, den ich neulich über geschlechtsabhängige Unterschiede von COPD-Symptomen gelesen habe, die wiederum Auswirkungen auf die Diagnose von kardiovaskulären Erkrankungen haben. Also zum Beispiel scheint es so zu sein, dass Männer in dem CAT-Test häufiger sagen, dass sie weniger Energie haben als Hinweis darauf, dass sie kardiovaskulär erkrankt sind und Frauen reden dann eher über Brustenge und Engegefühle.1 Das zeigt auch die Grenzen von solchen Testfragebögen/ Anamnesebögen auf. Für Studien sind sie notwendig, um verschiedene komplexe Symptome zu einer Zahl zusammenzufassen, mit der man Statistik machen kann, aber im Alltag ist es doch wirklich viel wichtiger direkt zu kommunizieren, direkt Fragen zu stellen und ja, einfach miteinander zu reden. Aber zurück zur Frage, natürlich verhindern auch die Komorbiditäten die Diagnose einer COPD, die frühzeitige Diagnose. Deshalb bin ich mit den kardiologischen Kollegen sehr gut vernetzt und deswegen ist es in diesem Bereich kein großes Problem. Aber auch hier gibt es natürlich Patienten, die schon mehrere Herzkatheter hinter sich haben, eine Diagnostik vom Scheitel bis zu Sohle, bevor irgendjemand mal eine Lungenfunktion macht, um festzustellen, dass die Atemnot eben nicht nur kardiovaskulär bedingt ist, sondern auch durch eine COPD.

Professor Trinkmann:
Welche Schnittstellen hast du denn im Alltag mit anderen Ärztinnen und Ärzten?

Dr. Lampert:
Also allen voran ist natürlich die Zusammenarbeit mit den Hausärzten ganz wichtig, aber auch, klar, mit den Kardiologen und auch mit den umliegenden Krankenhäusern, weil natürlich die ganzen Exazerbationen häufig zu stationären Behandlungen oder zu Besuchen in Notfalleinrichtungen führen. Exazerbationen sind ja in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus geraten und wurden als wichtiger Parameter bei der COPD-Erkrankung identifiziert.

Professor Trinkmann:
Ja genau. Exazerbationen sind entscheidend für die Prognose und haben einen großen Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf. Der Vergleich ist natürlich pathophysiologisch nicht ganz korrekt, aber ich denke, dass wir Exazerbationen wirklich hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Patienten auf einer Stufe mit Herzinfarkt oder auch Schlaganfall sehen müssen. Jede Exazerbation führt ja irgendwie zu einem bestimmten Schaden in der Lunge, der dann zu einem oft unumkehrbaren Verlust an Lungenfunktion führt und dann im Verlauf natürlich auch zu einer weiteren Verschlechterung der Erkrankung selbst. Und bisher ist es ja in unserer Therapie so, dass wir immer hinterherlaufen, also, dass wir immer auf Ereignisse reagieren, anstatt zu agieren. Wir passen die Medikamente ja immer nach dem Ereignis an. Und das ist insofern natürlich erschreckend, als dass jede dieser einzelnen Exazerbationen das kardiovaskuläre Risiko erhöht und auch die Mortalität und alles was damit zu tun hat, also, die kardiovaskuläre Mortalität zum Beispiel als konkretes Exempel ist um den Faktor zwei erhöht. Und wenn Patienten eine Exazerbationshistorie haben, dann ist das Risiko natürlich noch mal deutlich erhöht und das führt einem dann immer wieder vor Augen, dass es eben sinnvoll ist, dass man Exazerbationen versucht aktiv zu verhindern wegen der damit verbundenen Morbidität aber auch Mortalität, wie wir ja wissen, und so diesen negativen Effekt oder dieses negative Zusammenspiel von Herz und Lunge eben frühzeitig entgegnen zu können. Was uns dann auch wieder zu einer interessanten Frage bringt, nämlich wie denn diese Funktionen von Herz und Lunge genau zusammenhängen. Welchen Einfluss haben denn Herzerkrankungen beim stabilen COPD-Patienten genau?

Dr. Lampert:
Menschen, die sowohl an Herzinsuffizienz als auch an COPD leiden, haben eine wirklich deutlich gesteigerte Mortalität. Das ist jetzt nicht fürchterlich verwunderlich, macht auch klar, warum es so sehr wichtig ist, dass wir bei unseren ganzen COPD-Patienten eben auch an diese ganzen kardialen Funktionsstörungen denken. Letztlich finde ich aber, dass wir immer noch doch relativ wenig über den Zusammenhang von COPD, Lunge und Herz wissen. Im Klinikalltag sind ja, wie du gerade auch gesagt hast, die Exazerbationen immer im Blick. Im Praxisalltag sind viele Probleme auch durch die Lungenüberblähung verursacht. Und dann, vor ein paar Jahren gab es auch eine ganz interessante Arbeit dazu, die inhalative Therapie in Auswirkung auf die Herzfunktion untersucht hat und man hat gesehen, dass die inhalative Therapie eben die Überblähung reduziert und sich letzten Endes dadurch auch direkt auf die Herzleistung auswirkt.2 Also sozusagen inhalative Therapie für die Herzinsuffizienz, was ich doch wirklich immer noch ziemlich spannend finde und auch die aktuellen Daten aus der Deutschen COPD-Register (Cosyconet) zeigen da einen ganz ähnlichen Zusammenhang. Im Alltag ist es aber auch oft schwierig herauszufinden, was jetzt was bedingt, ob die Atemnot eher vom Herz kommt oder von der Lunge, was jetzt da Henne und was Ei ist. Du warst ja auch lange in der Kardiologie tätig und die Kardiologen haben ja immer ganz tolle Algorithmen. Hast du einen therapeutischen Algorithmus zur Behandlung eines multi- beziehungsweise komorbiden COPD-Patienten, wenn er mit einer Exazerbation zu dir in die Klinik kommt?

Professor Trinkmann:
Ja, also ich denke, zunächst ist eine rationale und vor allem auch zielführende Differentialdiagnostik extrem wichtig. Wir haben uns ja schon über die hohe Prävalenz kardiovaskulärer Begleiterkrankungen bei COPD unterhalten und vor allem auch über die überlappende Symptomatik, wie zum Beispiel Dyspnoe oder Thoraxschmerzen, was dann im klinischen Alltag sehr häufig Probleme bereitet. Es gibt zum Beispiel Studien bei denen gezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit einer Koronarintervention und zeitgleich eine begleitende COPD in 80 % der Fälle nicht richtig diagnostiziert wird. Und vice versa werden elektrokardiographische Zeichen, ganz typische Zeichen einer koronaren Herzerkrankung, bei 70 % der COPD-Patienten übersehen, wenn sie sich im Rahmen einer Exazerbation in stationäre Behandlung geben. Das bedeutet für mich dann im Umkehrschluss, auch aus dem klinischen Alltag, dass das daran Denken wirklich der erste grundlegende Schritt ist, und ich möchte bezüglich der Algorithmen, nach denen du ja auch gefragt hattest, einen ganz wichtigen Punkt herausgreifen, bei dem wir sehr viel aus der Kardiologie lernen können und das ist das Thema der Rehabilitation, also den Rehabilitationsmaßnahmen. Bei den Patienten, die mit einem Herzinfarkt in die Klinik kommen geschieht die Anmeldung zur Reha, um es ein bisschen überspitzt zu formulieren, ja praktisch mit der Herzkatheter-Anmeldung. Das ist natürlich eine große Diskrepanz von dem, was wir bei der COPD tun und bei einer pneumologischen Rehabilitation, wo wir einfach die entsprechenden Plätze nicht zur Verfügung haben. Und das ist aus meiner Sicht umso dramatischer aber auch umso lehrreicher, als dass wir jetzt ja gerade rezent Daten gesehen haben, dass die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme bei COPD die Mortalität senken kann und damit natürlich auch den Übergang in den Alltag des Patienten dann wieder extrem erleichtern kann.3
Was ist dir denn abschließend wichtig bezüglich der Komorbiditäten unserer COPD-Patienten?

Dr. Lampert:
Wir wissen, dass COPD-Patienten auch viele andere Erkrankungen haben, aber es ist natürlich um einiges bequemer das im Alltag einfach auszublenden. Nur wir behandeln nun mal keine Lungenfunktion, sondern Menschen. Das klingt jetzt schwer nach Plattitüde, es ist auch eine, aber es stimmt natürlich trotzdem. Und wir sollten uns einfach immer bemühen alles im Blick zu haben und über unseren pneumologischen Tellerrand hinauszudenken. Deswegen ist mir auch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit und der Austausch mit den Kollegen wichtig, sowohl mit den anderen niedergelassenen aber genauso mit den klinischen Kollegen wie zum Beispiel mit dir heute. Und dafür vielen Dank.

Professor Trinkmann:
Ja, auch von meiner Seite vielen Dank. Es hat mir großen Spaß gemacht das Thema heute gemeinsam mit dir zu diskutieren.


Quellen:

  1. Trudzinski FC et al. Clin Res Cardiol 2021.
  2. Vogel-Claussen J et al. Am J Respir Crit Care Med. 2019; 199(9): 1086-1096.
  3. Lindenauer PK et al. JAMA. 2020; 323(18): 1813-1823.

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