Digitalisierung in der Pneumologie: Bis jetzt nur heiße Luft?

Berlin, 30.03.2022 | Lesezeit: 3 Min.

Die Digitalisierung verändert alle Bereiche des Gesundheitswesens und bietet neue Chancen, die Versorgung von Patienten*innen nachhaltig zu verbessern. Aber wie weit ist die Digitalisierung überhaupt vorangeschritten? Gibt es einen messbaren Mehrwert für den Arbeitsalltag der Pneumologen*innen in der Patientenversorgung? Prof. Dr. Frederik Trinkmann, Oberarzt in der Thoraxklinik in Heidelberg und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizininformatik-Initiative MIRACUM erklärt, in welche Bereiche der Pneumologie die Digitalisierung bereits vorgedrungen ist und welche Innovation wir künftig erwarten können.

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Herr Professor Trinkmann, welchen Stellenwert hat die Digitalisierung derzeit konkret in der Pneumologie schon erreicht?

Professor Trinkmann: Betrachtet man die gesamte Digitalisierung in Deutschland, so wird deutlich, dass wir einen massiven Nachholbedarf haben. Wir haben Bereiche, die gut digitalisiert sind – etwa der Informations- oder der Kommunikationsbereich – der Gesundheitsbereich hingegen liegt weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Es gab rezent eine interessante Umfrage, bei der man Klinik- und Praxisärzte*innen befragt hat, inwieweit sie denken, dass Deutschland im internationalen Vergleich im Gesundheitssystem zurückliegt. Hier zeigten sich sektorale Unterschied: Ein Großteil der der Klinikärzte*innen, aber nur die Hälfte der niedergelassenen Ärzte*innen sehen diesen Rückstand und nennen als Grund vorrangig die Komplexität des Gesundheitssystems. Meiner Meinung nach ist das Gesundheitssystem von der IT-Seite nicht komplexer zu digitalisieren als z. B. die Logistik, der Flugverkehr oder das Bankenwesen. Auch Probleme mit Datenschutz und IT-Sicherheit kann man lösen. Ein Beispiel: Wir alle sind mit Online-Banking bewandert und das sind ja ebenfalls sehr sicherheitskritische Bereiche. Das zeigt, dass Realität und Einschätzung eben deutlich auseinanderklaffen und ein erheblicher Nachholbedarf besteht.


Welche Möglichkeiten bieten digitale Ansätze konkret in der Pneumologie?

Professor Trinkmann: Es gibt im Wesentlichen vier verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Zum einen können digitale Ansätze zur Information und zur Auffrischung der Schulungsinhalte dienen. Ein Beispiel dafür wäre das Onlineportal TheraKey®, aber auch klassische Anwendungen wie Dokumentationsprogramme, z. B. Asthma- oder COPD-Tagebücher, die u. a. auch Lungenfunktionswerte grafisch auswerten können. Dann gibt es Programme, die auch zur Diagnostik- und Therapiesteuerung beitragen können. Und die vierte große Gruppe sind Apps und DiGA mit unterschiedlichen Ansätzen, die sich beispielsweise mit Rehabilitationsmaßnahmen wie physiotherapeutischen Übungen beschäftigen.


Stichwort digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA). Gerade sie sind derzeit in aller Munde. Was versteht man denn darunter? Und wo sehen Sie hier einen Nutzen, gerade auch im Bereich der Pneumologie?

Professor Trinkmann: Ich habe jetzt die Digitalisierung in Deutschland viel gescholten, aber die DiGA sind ein einzigartiges Konzept, um das wir auch weltweit beneidet werden. Digitale Anwendungen, die sich einem komplexen Zulassungsverfahren unterzogen und ihren Nutzen bestätigt haben, können erstattungsfähig verordnet werden. Hier übernimmt Deutschland eine Vorreiterrolle in der Anerkennung des Mehrwertes digitaler Anwendungen in der Patientenversorgung. Im DiGA-Verzeichnis sind aktuell (Stand März 2022) 31 DiGA gelistet, knapp 20 sind in Bearbeitung. Für den Bereich Pneumologie im Speziellen gibt es aktuell noch keine zugelassene DiGA. Dennoch ist das sicherlich ein Zukunftsmarkt und ein extrem spannendes Feld, in dem sich in den nächsten Monaten und Jahren noch sehr viel tun wird.


Big Data und Künstliche Intelligenz gewinnen in der Medizin zunehmend an Bedeutung. Hat sich denn schon etwas im Bereich der Pneumologie etabliert?

Professor Trinkmann: Die Begriffe Big Data, Künstliche Intelligenz, Data Mining sind omnipräsent und für jemanden wie mich, der sehr digital-affin ist, werden sie oft als Buzzwords verwendet. Unter Big Data verstehen wir generell erst mal das Vorhandensein von sehr großen Datenmengen, die heutzutage häufig anfallen. Unter Künstlicher Intelligenz fasst man verschiedene mathematisch statistische Methoden zusammen, mit denen sich z. B. bestimmte Muster in einem Datensatz finden lassen. Mit der heutigen Rechenleistung ist es möglichgroße Datenmengen zu analysieren. Anwendungsgebiete in der Pneumologie sind beispielsweise die Analyse von sog. Real-World-Daten, um individuelle Prädiktionsmodelle beispielsweise für das Auftreten von Krankheiten oder die Verschlechterung der Symptome zu kreieren. Auf der anderen Seite haben wir auch die Möglichkeit, durch solche Künstliche Intelligenz Muster in Bildern zu erkennen. Es gibt aktuell schon einen Algorithmus, der in der Lage ist, mittels Künstlicher Intelligenz die Lungenfunktion auszuwerten und einen Befund zu erstellen. Diese Lungenfunktions-Interpretation funktioniert relativ zuverlässig und ist ein Beispiel dafür, wie neue Technologien den Alltag erleichtern können. Im Bereich der Bildgebung gibt es noch weitere spannende Ansätze z. B. bei der Krebserkennung oder zur Quantifizierung eines Lungenemphysems bei einem*r COPD-Patienten*in.


Wagen wir abschließend den Blick in die Zukunft. Was würden Sie sagen, wie stehen die Chancen für den Aufbau von Registern anhand digital erhobener Daten im Bereich der Pneumologie, und welche Hürden gilt es auf dem Weg dorthin noch zu überwinden?

Professor Trinkmann: Ich denke Register, oder ich nenne es jetzt etwas allgemeiner Datenbanken sind sicherlich ein ganz wichtiger Aspekt, sowohl was die Forschung als auch die Patientenversorgung angeht. Eine große Hürde dabei ist vor allem struktureller Natur, denn viele Daten müssen erstmal in ein digitales und damit strukturiertes, computerlesbares Format überführt werden. Meine Arbeit bei MIRACUM besteht auch darin, dieses Strukturproblem zu lösen. Eine weitere Hürde ist der Datenschutz, die aber meines Erachtens zu überwinden ist, wenn „Datenschutz mit Hirnschmalz“ angewendet wird und ein sinnvolles, an unsere heutige Zeit angepasstes Datenschutzkonzept, auf den Weg gebracht wird.

Weiterführende Informationen

TheraKey®, der digitale Therapiebegleiter unterstützt Arzt*Ärztin und Patienten*innen beim aktiven Therapiemanagement und wurde von der deutschen Atemwegsliga zertifiziert. Zahlreiche Praxismaterialien und wissenschaftlich fundierte produktneutrale Informationen, Videos und Lernquizze stehen im Onlineportal bereit. Für Menschen mit Erstdiagnose COPD oder Asthma gibt es den TheraKey® Kompass.

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