Potentiale der Telemedizin
Berlin, 28.08.2024 | Lesezeit: 2 Min.
Überalterung der Gesellschaft trifft auf Ärztemangel: Die geburtenstarken Jahrgänge werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und mit ihnen viele Mediziner*innen.1,2 Telemedizin könnte eine Chance sein, die Ressource ärztliche Versorgung noch besser zu nutzen.3 Aber hat Telemedizin auch Potential in der Versorgung von COPD-Patienten*innen?
Bedingt durch die SARS-CoV-2 Pandemie stieg das Angebot an telemedizinischer Versorgung in den letzten Jahren stark an, denn während dieser Zeit wurde die Telemedizin als Ersatz für die persönliche Betreuung angeboten.4 Zu dieser Zeit konnte die Videosprechstunde unbefristet abgerechnet werden, seit April 2022 sind Fallzahl und Leistungsmenge wieder auf 30 Prozent begrenzt.5 Doch gerade bei langen Anfahrtswegen oder langen Wartezeiten können die Videosprechstunde und weitere telemedizinische Angebote eine sinnvolle Entlastung für Patienten*innen und Praxen sein.
Anwendung von Telemedizin bei COPD
Eine Studie6 basierend auf einem Pilotprojekt der AOK Bayern untersuchte, ob Telemonitoring nach einer 12-monatigen Nutzung Auswirkungen auf direkte medizinische Kosten, die Nutzung von Gesundheitsressourcen und die Sterblichkeit von Menschen mit COPD hat. Das Hauptziel des Projekts war, Patienten*innen mit fortgeschrittener COPD, die aufgrund ihrer Grunderkrankung oder einer akuten Infekt-bedingten Exazerbation innerhalb der vergangenen 24 Monate stationär behandelt werden mussten, durch geeignete telemedizinische Angebote positiv in ihrem Krankheitsverlauf zu beeinflussen. Die Patienten*innenkohorte wurde anschließend in eine Interventionsgruppe (n=651), die freiwillig an einen Telemonitoringprogramm teilgenommen haben und eine Kontrollgruppe (n=7047) unterteilt. Voraussetzung für die Kontrollgruppe war, dass diese im Studienzeitraum niemals an einem solchen Programm teilgenommen haben.6
Ein großes Plus für alle Beteiligten
Die Teilnehmenden der Interventionsgruppe erhielten je nach Schweregrad ihrer Erkrankung ein Spirometer bzw. ein Spirometer sowie ein Pulsoximeter, mit denen mindestens zweimal pro Woche die Vitalparameter gemessen wurden. Darüber hinaus mussten die Teilnehmenden mehrfach pro Woche einen krankheitsspezifischen COPD-Bewertungstest (CAT) und einen Fragebogen zum allgemeinen Wohlbefinden beantworten. Außerdem erhielten die Nutzer*innen des Telemonitorings regelmäßig eine telefonische Aufklärung zu nicht-medikamentösen Therapien wie Sport, Ernährung oder zur Rauchentwöhnung.6 Alle Daten wurden automatisch an eine elektronische Patientenakte übertragen, die 24 h täglich in einem Überwachungszentrum ausgewertet wurde. Anhand der Daten errechnete ein Algorithmus die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Exazerbation. Im Falle einer hohen Exazerbationswahrscheinlichkeit wurden die Patienten*innen durch medizinisches Personal kontaktiert und Maßnahmen eingeleitet. Die Ergebnisse zeigten eine niedrigere Mortalitätsrate als in der Vergleichsgruppe (HR 0,51, 95 % CI 0,30-0,86). Außerdem senkte Telemonitoring die Gesamtkosten während des Studienzeitraums von 12 Monaten um 895 € (p<0,05) im Vergleich zur COPD-Standardbehandlung hauptsächlich durch Einsparungen bei COPD-bedingten Krankenhausaufenthalten bei (sehr) schweren COPD-Patienten*innen (-1056 €, p<0,0001).6
Die Autoren sehen im Telemonitoring bei COPD eine praktikable Strategie, die Versorgung von COPD-Patienten*innen zu verbessern und dabei noch Kosten einzusparen. Zusätzlich scheint sich eine Verringerung der persönlichen Betreuungsintensität nicht negativ auf die Gesundheitsergebnisse auszuwirken.6
Ausblick – Telemedizinische Projekte in Deutschland:
Wie steht es allgemein um die Telemedizin in Deutschland? Laut einer Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse in Hessen, würden 90 % der Befragten telemedizinisch begleitete Hausbesuche befürworten.7 Zahlen einer Befragung von 2.063 Personen zur Nutzung von Digitalangeboten von Ärzte*innen in den letzten 12 Monaten (Mehrfachantworten möglich) sehen eher ernüchternder aus. Das am häufigsten genutzte Angebot war die Online-Terminbuchung (36 %), gefolgt vom E-Rezept (12 %). 8 Allerdings nur 9 % gaben an, Online-Sprechstunden genutzt zu haben, die elektronische Patientenakte 7 % und Telemonitoring 4 %.8 Die Hälfte der Befragten gab an, keine digitalen Angebote genutzt zu haben.8 Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schneidet Deutschland in der Umsetzung der Digitalisierung eher schlecht ab.9 Zudem äußerten Delegierte des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands die Sorge, dass private Telemedizin-Anbieter durch die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den Hausarztpraxen immer mehr Konkurrenz machen werden.10
Funktioniert Telemedizin dann nur in der Theorie? Aktuelle Projekte sprechen dagegen: Gerätegestützte Telemedizin wurde in Pflegeheimen eingesetzt, um die hausärztliche Versorgung zu verbessern, mit dem Ziel, Klinikeinweisungen von Bewohner*innen zu verringern. Nach erfolgreichen Pilotprojekten in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bieten z. B. die AOK Nordost und BARMER für diese Region Ärzte*innen einen Selektivvertrag an.11 Auch einer Region in Nordrhein-Westfalen ermöglicht die AOK Rheinland/Hamburg die Online-Visite in Pflegeheimen per Selektivvertrag.12 Zudem hat sich in der Gesetzgebung etwas getan: Das Digital-Gesetz (DigiG) hat die Begrenzung für Videosprechstunden aufgehoben, um sie flexibler zu gestalten. Ärzte*innen können nun auch außerhalb ihrer Praxisräume Videosprechstunden anbieten.13 Zudem wurde der gesetzliche Rahmen für assistierte Telemedizin in Apotheken geschaffen.13
Die Telemedizin zeigt Potential in der Verbesserung der Versorgung von Patienten*innen, einige Hürden scheinen aber noch überwunden werden zu müssen.
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Weiterführende Informationen
Zum Hören: Wo steht die Telemedizin heute und bei welchen Indikationsgebieten kommt sie zum Einsatz? Erfahren Sie mehr im Einblick-Podcast mit Linus Drop, dem Co-Geschäftsführer der SHL Gruppe Deutschland, dem Telemedizin-Anbieter der vorgestellten Studie. Hier geht’s zum Podcast
Videosprechstunde: Hier finden Sie eine Übersicht zur Vergütung.
Quellen:
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/225635/Aerztemangel-Schlechte-Aussichten (Letzter Zugriff: 22.05.2024)
- https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/aerztestatistik-wenn-ein-leichter-zuwachs-in-den-mangel-fuehrt (Letzter Zugriff: 22.05.2024)
- https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Fast-jeder-fuenfte-Buerger-nutzte-schon-die-Videosprechstunde-429311.html (Letzter Zugriff: 22.05.2024)
- Sculley JA. et al., Curr Opin Pulm Med 2022; 28: 93–98
- https://www.kbv.de/html/videosprechstunde.php (Letzter Zugriff: 22.05.2024)
- Achelrod D. et al., Eur J Health Econ 2017; 18: 869–882
- https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Hausbesuch-per-Telemedizin-finden-die-Hessen-gut-442846.html (Letzter Aufruf 23.05.2024)
- https://de.statista.com/infografik/16205/nutzung-von-digitalen-services-von-aerzten-in-deutschland/ (Letzter Aufruf 23.05.2024)
- https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/ccv/2022/digitale-gesundheitsversorgung-2033-trends-szenarien-und-thesen.pdf (Letzter Aufruf 23.05.2024)
- https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/Hausaerzte-zu-kommerziellen-Telemedizin-Anbietern-Aufpassen-nicht-links-ueberholt-zu-werden-448803.html (Letzter Aufruf 06.05.2024)
- https://www.aok.de/pp/nordost/pm/selektivvertrag-fuer-geraetegestuetzte-telemedizinische-versorgung-in-stationaeren-pflegeeinrichtungen/ (Letzter Aufruf 06.05.2024)
- https://www.aerztezeitung.de/Politik/Heime-im-Kreis-Euskirchen-setzen-auf-die-Telemedizin-440671.html (Letzter Aufruf 23.05.2024)
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/t/telemedizin (Letzter Aufruf 23.05.2024)
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