Berlin, 27.11.2024 | Lesezeit: 5 Min.

Adhärenz spielt in der Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen eine große Rolle für den Therapieerfolg. Aber trotz des meist regelmäßigen Kontaktes ist es nicht immer einfach einen Zugang zu finden, um die Patienten*innen zu motivieren. Prof. Frederik Trinkmann, Heidelberg, sprach mit Diplom-Psychologe Prof. Bernhard Kulzer, Bad Mergentheim - Experte im Bereich Patienten*innenkommunikation und Schulungskonzeption in der Diabetologie - über die Parallelen und Unterschiede der beiden Fachgruppen. Zudem gibt Prof. Kulzer Best-Practice Beispiele aus der Diabetologie, die auch in der Pneumologie Anwendung finden könnten.

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Frage 1: Gibt es Parallelen zwischen der Diabetologie und der Pneumologie? 

Prof. Trinkmann: Wir möchten uns heute mit den Aspekten der Patienten*innenkommunikation beschäftigen. Diabetes hat mit Lungenerkrankungen gemeinsam, dass beide chronische Erkrankungen sind. Wo sehen Sie Parallelen der Erkrankungen und in der Kommunikation mit den Patienten*innen?


Prof. Kulzer: Chronische Erkrankungen zeichnen sich dadurch aus, dass fast immer Lebensstilfaktoren für die Entstehung und den Verlauf wichtig sind. Bei Typ-2-Diabetes sind es Themen wie Ernährung, Bewegung und Übergewicht. Bei COPD oder Asthma z. B. Rauchen oder Bewegung. Ein weiteres Merkmal dieser Erkrankungen ist, dass die Therapie im Alltag von den Patienten*innen umgesetzt werden muss. Typisch ist auch, dass fast immer eine Multimorbidität vorliegt, weswegen betroffene Patienten*innen häufig viele unterschiedliche Medikamente einnehmen müssen. Das alles bedeutet, dass die Krankheitsakzeptanz und ein aktives Selbstmanagement ganz wichtig sind. Wir wissen aus Studien, dass diese Erkrankungen häufig zu einer Verschlechterung der Lebensqualität und negativen psychischen Folgen wie Angst oder Depression führen. Auch die Prognose ist von vielen unterschiedlichen somatischen, psychischen oder sozialen Faktoren abhängig. Beide Erkrankungstypen sind mit einer schlechten Adhärenz verbunden und dies führt auch zu einer mangelnden Umsetzung des empfohlenen Lebensstils und der Interventionen – diese Aspekte sind verbesserungswürdig.

Frage 2: Welche Faktoren spielen eine wichtige Rolle für eine gute Adhärenz und wie kann man diese fördern? 

Prof. Trinkmann: In der Pneumologie haben wir eine spezielle Situation, ähnlich wie auch in der

Diabetologie, da Patienten*innen nicht einfach Tabletten einnehmen können, sondern mit Spritzen oder Inhalativa umgehen müssen. In der Pneumologie gibt es Daten aus einer Befragung von Asthma- und COPD-Patienten*innen hinsichtlich ihrer Einstellung zur Therapie und Adhärenz. Interessant ist, dass drei Viertel der Teilnehmer*innen nur über mäßige Adhärenzwerte verfügten. Ein beeinflussender Faktor für die Adhärenz war die empfundene Wirksamkeit. Die Daten zeigten auch: Je einfacher die Therapie ist, desto höher ist die Adhärenz. Das ist relevant, da wir teilweise Patienten*innen haben, die zwei bis drei Inhalationsgeräte verwenden müssen. 

Haben Sie ähnliche Erfahrungen in der Diabetologie gemacht? Sie haben teilweise auch polymorbide Patienten*innen mit komplexen Therapieschemata.


Prof. Kulzer: Ich glaube, beide Erkrankungen zeichnen sich durch eine hohe Komorbidität aus. Letztes Jahr ist eine Meta-Analyse zum Thema Asthma und COPD und Adhärenz erschienen.  Das Durchschnittsergebnis der Patienten*innen war deutlich niedriger als bei anderen Erkrankungen. Die Analyse identifizierte mangelnde Krankheitsakzeptanz, Überzeugung, dass die Medikamente wirken und soziale Unterstützung, aber auch eine schlechte Lebensqualität und psychische Komorbiditäten als Barriere für eine gute Adhärenz und damit die Umsetzung der Therapie. Umgekehrt waren gute Kenntnisse über Asthma und COPD, die Überzeugung, dass die Medikamente notwendig sind, höhere Selbstwirksamkeit, und Krankheitsakzeptanz, also eine positive Einstellung zur Erkrankung, wichtige Faktoren für eine gute Adhärenz. Faktoren, die im Gespräch mit den Patienten*innen veränderbar sind.

Frage 3: Welche Kommunikationsstrategien können in beiden Indikationen eingesetzt werden?

Prof. Trinkmann: Sie haben ein wichtiges Thema angesprochen: veränderbare Umstände. Wir wissen alle, dass der Lebensstil ein wichtiger Faktor ist. Bei uns in der Pneumologie ist das 

Rauchen besonders wichtig und gleichzeitig auch ein sehr schwieriges Thema. Können Sie da Parallelen ziehen? Wie würden Sie solche Kommunikationsstrategien in der Diabetologie angehen?

Prof. Kulzer: In Studien sieht man eindeutig, dass Edukations-Maßnahmen zentral sind. Dort kann man den Patienten*innen eine positive Einstellung zur Erkrankung sowie Selbstwirksamkeit nahelegen. In Bezug auf die koronare Herzkrankheit kann ein zehnminütiges, strukturiertes Gespräch zur Rauchentwöhnung eine erfolgreiche Maßnahme sein. Wir haben leider das Gefühl, dass dies nicht effizient sei, doch bei einem von zehn hat es eine Wirkung: Etwa 5 % hören danach das Rauchen auf. Man darf also nicht immer nur von den Misserfolgen ausgehen und sollte das Rauchen immer wieder, auf eine positive Weise, ansprechen und immer wieder die Motivation des*der Patienten*in abfragen. 

Die Frage der Motivation ist immer sehr wichtig, da Menschen sich meist dann verändern, wenn sie einen persönlich bedeutsamen Grund haben. Die Vor- und Nachteile zusammen mit den Patienten*innen zu erarbeiten, ist dabei immer eine gute Vorgehensweise. Dabei können wir erkennen, welche Patienten*innen bereit sind, sich zu verändern. 

Etwas, dass sicher auch nicht unwesentlich ist, ist, dass viele Patienten*innen weniger bereit für eine Lebensstiländerung sind, weil sie psychische Probleme haben. Die Anzahl von Menschen mit Depressionen oder Angststörungen bei COPD oder Asthma ist deutlich erhöht. Hier wäre ein Tipp das Thema Depression bei den Patienten*innen zu erfragen, um herauszufinden, ob es eventuell ein „nicht können“ und kein „nicht wollen“ ist.

 

Frage 4: Gibt es Best-Practice Beispiele aus der Diabetologie, die Sie mit uns teilen können? 

Prof. Trinkmann: Haben Sie Best Practice-Beispiele aus der Diabetologie, die auf die Pneumologie übertragen werden können und beispielsweise die Adhärenz verbessern? 

Prof. Kulzer: Wir machen regelmäßige Termine mit den Diabetes-Patienten*innen bei denen bestimmte Dinge thematisiert werden, zum Beispiel eine regelmäßige Kontrolle der Injektionsstellen beim Spritzen, im nächsten Termin wird der Fuß besonders angeschaut, wiederum im nächsten kann die Medikamenten-Adhärenz im Fokus stehen. Dafür ist ein wichtiger Tipp, die Patienten*innen auf eine nicht verurteilende Weise zu bitten, ihre Medikamente mitzubringen und sich von ihnen erklären zu lassen, ob und wie die Medikamente eingenommen werden und wenn nicht, wieso nicht. 

In der Diabetologie haben wir den Standard, dass Schulungen ein enorm wichtiger Aspekt sind. Da sehe ich bei COPD und Asthma durchaus noch Luft nach oben. Zusätzlich haben wir in der Diabetologie durch die kontinuierliche Glukosemessung immer wieder die Möglichkeit, eine Rückmeldung zu bekommen. In der Pneumologie ist das die Spirometrie sowie das regelmäßige Erfragen von Exazerbationen oder von Krankenhausaufenthalten. Dazu gibt es auch einen Leitfaden in der Leitlinie.

 

Frage 5: Wie wird die Digitalisierung in der Diabetologie genutzt und kann man dies auf die Pneumologie übertragen? 

Prof. Trinkmann: Können Sie uns da von Ihren Erfahrungen aus der Diabetologie berichten und Beispiele geben, wo digitale Helfer sinnvoll eingesetzt werden können?

Prof. Kulzer: In der Diabetologie ist die Digitalisierung wirklich im vollen Gange. Wir haben durch die kontinuierliche Glukosemessung und die sogenannten automatisierten Insulin-Dosiersysteme beim Typ-1-Diabetes mittlerweile fast Standard-Therapien, die über digitale Anwendungen funktionieren. Zusätzlich gibt es mittlerweile acht digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die durchaus helfen, Übergewicht zu reduzieren, den Lebensstil zu verändern, die richtige Dosierung zu finden oder auch das Thema Depression zu adressieren. Ich halte recht viel von diesen digitalen Anwendungen, weil sie Unterstützung liefern können für Dinge, die in der Hausarztpraxis nicht geleistet werden können. Es gibt auch DiGAs, die zum Beispiel bei der Rauchentwöhnung unterstützen.

Ich bin auch ein großer Fan vom sogenannten TheraKey, der sozusagen als verlängerter Arm des*r Arztes*Ärztin fungieren kann. Der TheraKey informiert über verschiedene Erkrankungen und bietet Übungen – genau die Aspekte, die wichtig für eine gute Adhärenz sind. Wir nutzen das im Diabetesbereich sehr stark. Für den Bereich Pneumologie gibt es das System auch. 

Prof. Trinkmann: In der Pneumologie sind wir da tatsächlich noch nicht ganz so weit. Wir nutzen ebenfalls die DiGAs zur Rauchentwöhnung und den TheraKey. Da teile ich das „Fan-Sein“ mit Ihnen, weil ich denke, das ist ein tolles Angebot für die Patienten*innen. 

Auch bei der Inhalator-Schulung bewegt sich einiges. Es befindet sich gerade eine digitale Anwendung in der Erprobung, wo durch Mikrofon und Videokamera eines handelsüblichen Handys das Inhalationsmanöver überwacht werden kann und dann entsprechend KI-gestützte Tipps gegeben werden, wie und ob sich das Manöver verbessern lässt. Kurzum, es gibt in beiden Indikationen schon einiges und es wird sich auch noch einiges bewegen.

 

Weiterführende Informationen

Ob Sprachbarriere oder kognitive Einschränkungen – um Verständnisschwierigkeiten zu vermeiden, können spezielle Patient*inneninformationen in Leichter Sprache eine sensible und empathische Gesprächsführung nachhaltig unterstützen. Lesen Sie hier mehr dazu.

Der TheraKey® ist das größte deutschsprachige digitale Arzt-Patienten-Portal, das von der BERLIN-CHEMIE AG entwickelt wurde. Das Therapiebegleitprogramm unterstützt Menschen mit Atemwegserkrankungen mit individuell zugeschnittenen Informationen rund um die Erkrankung und Therapie und hilft dabei gleichzeitig Ärzten*innen mit ihren Patienten*innen effizienter zu kommunizieren. Hier  lesen Sie mehr zum TheraKey®.

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